PMU-basierte Zustandsabschätzung in Smart Distribution
DOI:
https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2021-070Keywords:
Technik, Medizin, angewandte WissenschaftenAbstract
Diese Dissertation bietet einen ganzheitlichen Ansatz dafür, wie die Überwachung des Verteilnetzes – und hier insbesondere der 110-kV-Ebene – zukünftig gestaltet werden kann. Innerhalb dieser Thematik wurden sowohl planungstechnische als auch betriebliche Aspekte bei der Integration und Optimierung neuartiger Überwachungsverfahren theoretisch und praktisch untersucht.
Als Voraussetzung für ein Überwachungssystem sind zunächst bestehende PMU-Platzierungsverfahren gegenübergestellt und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile identifiziert worden. Hier hat sich gezeigt, dass technische Einschränkungen bei der Installation und daraus resultierende unzulässige Verallgemeinerungen bei der linearen Optimierung nach einer neuen Methodik verlangten. Durch die Einführung eines PMU-Platzierungsverfahrens auf Basis von Messstellen konnte diesbezüglich eine effiziente und kostenoptimale Lösung vorgestellt werden. Untersuchungen an mehreren Testnetzen (darunter das IEEE 14- und das IEEE 30-Knoten-Testnetz) haben nachgewiesen, dass im Vergleich mit konventionellen Verfahren der geforderte Grad an Beobachtbarkeit mit weniger Messungen gewährleistet werden kann und zudem eine Berücksichtigung unzulässiger Messstellen erfolgt. Durch die Verwendung und Anpassung von aussagekräftigen Beobachtbarkeitsindizes in Kapitel 4 wurde dieser Zusammenhang auch durch numerische Werte quantitativ nachgewiesen.
Im Kern der Arbeit sind drei Verfahren der Netzzustandsabschätzung (konventionell, linear und hybrid) durch eine Applikation in MATLAB realisiert worden. Die Applikation ermöglichte die Untersuchung variabler Messkonfigurationen für ein 4-Knoten-Beispielnetz und eine 110-kV-Verteilnetzstruktur mit 18 Knoten. In mehreren Simulationen wurden dazu Referenzzeitreihen mittels Lastflussberechnung erzeugt, aus denen im Anschluss virtuelle Messungen mit synthetischen Fehlern für die Zustandsabschätzung abgeleitet wurden. Durch Variation der Anzahl verfügbarer Messungen und ihrer Messgenauigkeit konnten Schlussfolgerungen bezüglich der jeweiligen Eignung des Verfahrens für die praktische Anwendung im Verteilnetz gezogen werden. Sowohl die exklusive PMU-Nutzung (LSE) als auch die hybride Netzzustandsabschätzung zeigten dabei erhebliche Vorteile gegenüber konventionellen Ansätzen. Unter Verwendung der bereits heutzutage verfügbaren hohen Genauigkeit zeigerbasierter Messgeräte konnte so die Abweichung der ermittelten Zustandsgrößen um mindestens 50 % reduziert werden. Auch die höhere Rate, mit der PMU Messdatensätze bereitstellen können, erlaubt folglich eine detaillierte Erfassung dynamischer Effekte und die tiefergehende Analyse von Ursache-Wirkungs-Ketten im Gesamtsystemverbund. In Kapitel 7 wurde abschließend die lineare Netzzustandserfassung unmittelbar auf ein bestehendes 110-kV-Verteilnetz angewendet. Der dazu verfügbare PMU-Messdatensatz umfasste einen Zeitraum von 9 Stunden. Zwar war eine Validierung durch Referenzmessungen nicht möglich, jedoch konnten die erzielten Ergebnisse durch grundlegende Kenntnisse der vorherrschenden Last- und Erzeugungssituation im betrachteten Netzgebiet als plausibel eingestuft werden. Aus den praktischen Erfahrungen konnte zudem eine Handlungsempfehlung für die Integration von PMU-Messgeräten in bestehende Verteilnetzleitwarten aufgestellt werden. Diese behandelten sowohl anbindungstechnische, betriebliche als auch kostenbezogene Aspekte.
Als Ergebnis dieser Dissertation kann zusammenfassend festgestellt werden:
Es wurde simulativ und praktisch gezeigt, dass zeigerbasierte Messgeräte wesentlich zur Verbesserung der Netzzustandsbestimmung im 110-kV-Verteilnetz beitragen können. Damit ist auch die Thesis dieser Arbeit nachgewiesen.
Durch die bereits heute industriell verfügbare Genauigkeit stellen PMU damit eine ernstzunehmende Alternative bei der messtechnischen Ausstattung eines elektrischen Energieversorgungsnetzes im Vergleich zu konventionellen Geräten dar. Vor allem die zumeist spärlich überwachten unteren Netzebenen verlangen aufgrund der zunehmenden Dynamik infolge volatiler Einspeisung nach einer stärkeren und genaueren Beobachtung. Nur dann können die statischen und dynamischen Systemdienstleistungen der dort angeschlossenen dezentralen Anlagen durch den Netzbetreiber optimal genutzt und koordiniert werden, um auftretende Netzengpässe und Spannungsbandverletzungen zu beheben bzw. zu vermeiden.
Die BMWi-Verteilernetzstudie [106] und die dena-Verteilnetzstudie [107] haben diesbezüglich zwar bereits gezeigt, dass ein Netzausbau mittel- bis langfristig für einen nachhaltig sicheren Betrieb unumgänglich ist, jedoch stellt das Einspeisemanagement zur Zeit das meistgenutzte Werkzeug für den Übergang dar. Bereits die akkumulierte Abregelung von 1 % der Jahresenergie würde beispielsweise ausreichen, um den Netzausbaubedarf in Deutschland insgesamt um 30 % zu senken [106]. Die optimale Beobachtbarkeit des elektrischen Netzes über alle Spannungsebenen hinweg ist in der Konsequenz die wichtigste Voraussetzung für eine intelligente und koordinierte Nutzung dieses Werkzeugs. Und auch wenn der Einfluss eines erweiterten Blindleistungsmanagements nachweislich nur geringe Effekte zeigt, so kann letztlich auch dieses Potential nur bei genauer Kenntnis des globalen Spannungsprofils optimal ausgeschöpft werden.
Ausblickend gilt es insbesondere, weitere praktischen Erfahrungen bezüglich der Nutzung von PMU im Verteilnetz zu sammeln. Simulative und theoretische Analysen sowie
Optimierungsansätze sind bereits durch eine Vielzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen adressiert worden. Woran es jedoch fehlt, ist die globale VNB-ÜNB-übergreifende messtechnische Erfassung des dynamischen Verhaltens des elektrischen Verbundsystems unter dem Einfluss stark zunehmender volatiler Einspeisung. Viele Effekte, die Ursache für Fehler oder Schutzauslösungen sein können, sind mit heutigen Mitteln einfach nicht erfassbar bzw. nicht kausal rückverfolgbar. Die Nutzung von PMU zur Einrichtung eines Distribution Area Monitoring Systems, wie es im Rahmen dieser Dissertation vorgestellt wurde, bietet die dazu notwendigen funktionellen Eigenschaften und Spezifikationen.
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